Ich habe ein interessantes Video zur obigen Thematik gefunden. Es müsste von 2014 sein.
Die Diskussionspartner sind:
– Armina Omerika, Institut für Studien der Kultur und Religion des Islam, Universität Frankfurt,
– Hamed Abdel-Samad, Politologe und Autor,
– Tarafa Baghajati, Obmann der Initiative muslimischer ÖsterreicherInnen und
– Christian Troll, Islamwissenschaftler, Philosophisch-Theologische Hochschule Sankt Georgen, Frankfurt.
Frau Omerika und Herr Baghajati bilden wohl die eine Fraktion, Herr Abdel-Samad und Herr Troll die andere.
Einige Gedanken dazu:
1. Herr Baghajati ist der Ansicht, dass die radikalen Islamisten gegen den Koran handeln (ab 4:27). Das lasse sich beweisen aus den Versen des Korans, die ein Kriegsrecht beschreiben. In Medina habe es einen harmonischen Übergang des Islams von einer Minderheit- zu einer Mehrheitreligion gegeben. Der Prophet habe in Medina Verträge mit Juden und anderen Stämmen geschlossen, die ihnen Relgionsfreiheit, ein Existensrecht etc. gewährleistet hätten.
Nach Abdel-Samad hätte nur noch ein einziger Jude in Medina bzw. auf der arabischen Halbinsel gelebt, als Mohammed starb. Die anderen seien vertrieben worden (ab 6:01).
Herr Baghajati gibt zu, dass heute in Medina keine Christen und Juden mehr leben (ab 6:20). Alle seien muslimisch geworden. Bis zum Osmanischen Reich habe es Frieden mit den Juden gegeben (ab 7:01).
Das nenne ich einen durchgreifenden Frieden. Frieden bis ins Jenseits…
1:0 für Abdel-Samad.
Im Übrigen heißt sein neuestes Buch „Der islamische Faschismus: Eine Analyse„.
Braucht man dann noch heute Verträge, um neben einer muslimischen Mehrheit existieren und seinen Glauben ausleben zu können? Falls ja, spricht das nicht gerade für eine Toleranz im Islam.
2. Frau Omerika meint, dass es in jeder Religion Potential für Frieden und Gewalt gäbe (ab 8:56)
Eine Religionsgemeinschaft besteht aus Menschen, die natürlich fehlgeleitet werden können. Aber ist nicht dennoch entscheidend, was die Basisquelle (Bibel, Koran etc.) zu Gewalt sagt? Ich würde meinen, dass die Aussage Jesus „Wenn dich jemand auf die rechte Backe schlägt, dann halt ihm auch die linke hin“ (Matthäus 5, 39) nicht gerade zum Gewalt aufruft. Wie verhält es sich im Islam mit der Gewalt?
3. Herr Troll unterscheidet zwischen der normativen und der „praktisch gelebten“ Ebene (ab 11:08). Er schließt sich der Meinung von Herrn Abdel-Samad an, demzufolge der Koran sowohl Aussagen zur Friedensbereitschaft wie zum Gewaltaufruf beinhalte (11:50). Letztendlich hänge es davon ab, wie man den Koran liest, also von der Auslegung.
Genau das, was ich oben vertrete (Nr. 2).
4. Herr Abdel-Samad spricht über sein neues Buch (ab 13:16) und über Sure 8, 55.
Der Aspekt der „Entmenschlichung“ ist sehr interessant. Wem man das Menschsein abspricht, mit dem kann man nach Belieben umgehen.
5. Frau Omerika behauptet, dass das neue Buch von Abdel-Samad an bestimmten Fehlern leide, konnte aber nicht überzeugend darlegen, welche (ab 20:51).
Ob sie das Buch wirklich (vollständig) gelesen hat?
6. Frau Omerika bezieht sich auf den „juristischen Mainstream“ im Islam (ab 22:00). Müssen sowohl die Handlungen als auch die Aussagen von Mohammed befolgt werden? In welchen Bereichen muss dem Propheten gefolgt werden? Mohammed sei ein Vorbild, beanspruche aber keinen totalitären Führungsanspruch.
Mir scheint, dass Mohammed eine gottähnliche Funktion hat. Sonst würde es keinen Sinn machen, dass manche Moslems wegen den Mohammed-Karrikaturen (nicht nur) so tödlich beleidigt sind. Denn das Bilderverbot gilt doch lediglich für Allah.
Hier in diesem Zusammenhang ein interessanter Artikel auf Welt Online:
http://www.welt.de/kultur/article136302338/Der-Mythos-vom-Mohammed-Darstellungsverbot.html
…Dass die Rechtstradition kein explizites Verbot von Prophetendarstellungen kennt, ist sogar unter Muslimen nicht jedem bewusst. 1997 gab es in Washington Streit um einen Fries im Gerichtssaal des Supreme Court Building, auf dem neben Karl dem Großen, Napoleon, Justinian und anderen Gesetzgebern auch Mohammed dargestellt ist (an der Nordwand).
Ein muslimischer Verband in den USA fühlte sich verletzt und bestellte eine Fatwa, also ein Rechtsgutachten. Der zuständige Gelehrte Taha Jabir Al-Alwani kam unter Würdigung der gesamten Prophetentradition zu dem Ergebnis, die Darstellung sei kein Problem für den Islam. Sondern eine Ehre…
7. Herr Abdel-Samad: Das Problem sei nicht nur, was im Koran steht, sondern welchen Stellenwert er innerhalb der heutigen muslimischen Gemeinschaft hat, welches Selbstbild die Moslems in der Welt haben (ab 24:48). Die Scharia habe eine entscheidende Rolle bei der Frage der Toleranz gespielt: Die islamische Welt sei immer dann tolerant gewesen, wenn die Scharia keine Rolle gespielt hat (ab 25:35).
Es wäre interessant, herauszufinden, ob tatsächlich eine Korrelation zwischen Toleranz und Scharia besteht, wie Herr Abdel-Samad behauptet.
8. Herr Baghajati: Es gäbe einen Friedensauftrag im „Mainstream-Islam“ über die Jahrhunderte (ab 27:03). Der IS werde von allen islamischen Gelehrten abgelehnt.
Na, diesen vorgebrachten Friedensauftrag im historischen Kontext könnte man leicht überprüfen! Wer ist historisch interessiert?
9. Frau Omerika: Auch die Jesiden würden als „Anhänger der Schrift“ bezeichnet (30:40).
Soweit ich weiß, werden die sog. Anhänger einer Buchreligion unter den „Ungläubigen“ in gewisser Weise bevorzugt. Sie mussten bzw. müssen „nur“ eine Kopfsteuer zahlen. Was ist mit den anderen? Gleich Kopf ab? Das ist ein schwaches Argument, um eine Toleranz im Islam belegen zu wollen.
10. Herr Abdel-Samad: Nicht nur Krisen spielten eine Rolle bei der Frage, warum Islamisten Menschen töten, sondern auch die Religion (34:06). Der Islam habe damit zu tun („Sakralisierung der Gewalt“).
Interessant, dass Übereinstimmung darin besteht, dass der Islam mit dem islamischen Terror etwas zu tun hat. Endlich!
11. Herr Abdel-Samad: Das Problem des Islamismus könne nicht gelöst werden, solange der Koran unantastbar bleibt (44:50). Der Koran müsse relativiert werden, die Exegese (Auslegung) helfe allein nicht. Es sei ein Problem, den Koran als letztes Wort Allahs zu sehen (45:28). Wozu brauche man den Koran im 21. Jahrhundert, wenn sowohl die Aussagen über Gewalt wie auch die über Frieden nur im Kontext gesehen werden dürften?
Die Relativierung könnte schwierig werden. Denn wie ein Christ glaubt, dass die Bibel die Offenbarung Gottes ist, glauben die Moslems dasselbe vom Koran.
12. Herr Baghajati: Es gäbe keinen heiligen Krieg. Die Übersetzung sei falsch. Es gäbe nur einen „bewaffneten Kampf“ (46:20). Die Demokratie sei dem Koran immanent (47:36).
Das mit der Demokratie kann ich nicht wirklich glauben. Wie viele islamische Länder mit der Demokratie als Staatsform gibt es? Warum wurde dann eine (Todes-)Fatwa gegen Herr Abdel-Samad ausgesprochen, nur wegen einem Buch? Ist ein bewaffneter Kampf wirklich besser als ein heiliger Krieg?