Weltverschwörung und andere Theorien

Haben Muslime ein Problem mit Antisemitismus?

Nach einer Diskussion mit zwei Muslimen vor zwei Tagen vermute ich, dass Antisemitismus in muslimischen Kreisen kein Gerücht bzw. kein Randphänomen ist, sondern tatsächlich ein Problem darstellt.

Die Studie des Institute for the Study of Global Antisemitism (ISGAP) vom Mai 2015 mit dem Titel „Antisemitic Attitudes among Muslims in Europe: A Survey Review“ kommt zum Ergebnis, dass Antisemitismus unter Muslime verbreiteter sei als unter Nicht-Muslime. Der Studie zufolge soll muslimischer Antisemitismus vor allem von zwei Faktoren abhängig sein: von der eigenen Religiösitat und einer fundamentalen Auslegung des Korans. Interessanterweise wird darüber hinaus festgestellt, dass Antisemitismus keine „Negativreaktion“ von diskriminierten oder unterdrückten Muslime sei. Vielmehr könnten die demografischen und sozio-ökonomischen Faktoren die unterschiedliche Häufigkeit von Antisemitismus in den beiden Vergleichsgruppen nicht erklären.

Das Verhältnis von Antisemitismus und Muslime drängte sich mir auf, als ich mit den zwei besagten Muslime darüber diskutierte, ob Israel ein Besatzerstaat ist, die Juden Mörder von Palästinenser sind, und ob es gerechtfertigt ist, Juden auf offener Straße niederzumetzeln.

Dabei hat alles so harmonisch angefangen. Wir saßen bei einer besinnlichen Weihnachtsfeier inmitten lärmender Kinder, es duftete nach Tee und Köstlichkeiten aus aller Welt und ein Gefühl von Weihnachten lag in der Luft.

Die Politik änderte alles. Der Anfang dieser erhitzten Diskussion nahm ihren Anfang, als die muslimische Frau mir mitteilte, dass sie es nicht verstehen könne, warum nur für die Getöteten in Paris eine Schweigeminute abgehalten würde und nicht auch für die getöteten Muslime im Nahen Osten. Diese Frage ist soweit in Ordnung und vielleicht auch gerechtfertigt.

Es folgte eine Aussage, die mir nicht unbekannt war, und die mir nahelegt, dass solche Theorien vermutlich in muslimischen Kreisen kursieren: Der IS sei eine Erfindung der Amerikaner. Es gäbe den IS nicht. Das sei eine Verschwörung zu Lasten der Muslime.

Und bekanntlich ist der Sprung vom Einfluss Amerikas zum Staat Israel nicht weit. Man kam auf Zuckerberg, den man verdächtigte, Jude zu sein. Ja, er ist Jude. Das konnte ich gleich bestätigen. Und die Frage nachschieben, ob es denn ein Verbrechen sei, als Jude über diesen Planeten zu wandeln.

Dann schlugen die Stereotypen auf mich ein, die ich immer wieder in Foren antreffe, wie folgende: Israel hätte den Palästinensern das Land weggenommen, die Juden würden die Palästinenser unterdrücken und sogar ermorden.

Diese Behauptungen lassen jedoch außer Acht, dass es über die Jahrtausende hinweg immer eine erhebliche jüdische Präsenz in Palästina gegeben hat, vor allem in den Städten Jerusalem, Hebron und Safed. Das historische Palästina erhielt diesen Namen bereits von den Römern. 1880, vor der 1. Alija, waren bereits etwa die Hälfte der rund 30.000 Einwohner Jerusalems jüdisch. Tatsache ist demnach, dass die Juden historische Wurzeln in Palästina nachweisen können und in diesem Gebiet durchgehend gelebt haben.

Die ersten jüdischen Einwanderer hatten Anfang der 1880-Jahre in Teilen Palästinas Land von sog. Großgrundbesitzern erworben und nicht „gestohlen“, wie oft vorgeworfen wird. Viele arabischen Landbewohner (sog. Fellachen) waren nämlich nicht Eigentümer der dortigen Ländereien, sondern hatten die Grundstücke nur gepachtet. Das historische Gebiet Palästina war von 1516 bis 1918 unter osmanischer Herrschaft, sodass hier bereits fraglich ist, ob Palästina zu jener Zeit tatsächlich ein eigenständiges politisches Gebilde im engeren Sinne (Staat) darstellte.

Beinahe die Hälfte des Landes war zum Zeitpunkt des UN-Teilungsplans 1947 herrenlos, insbesondere die Regionen der unfruchtbaren Negev-Wüste, die etwa ein Drittel des Landes ausmacht. In diesem Zusammenhang ist anzumerken, dass der jüdische Staat laut UN-Teilungsplan zu etwa zwei Dritteln aus dem Gebiet der Negev-Wüste bestehen sollte. Ein Gebiet, das zu jenem Zeitpunkt nicht landwirtschaftlich genutzt werden konnte. Der Vorwurf, die UN hätten Israel bei der Teilung unbillig bevorzugt, muss angesichts dieser Fakten eindeutig zurückgewiesen werden. Darüber hinaus hatten in den für einen jüdischen Staat bestimmten Gebieten sehr viele Juden gelebt. Sie stellten vermutlich gar die Mehrheit der dortigen  Bevölkerung dar.

Das historische Palästina war weiterhin nicht auf die Gebiete des heutigen Israels und der palästinensischen Autonomiegebiete beschränkt, sondern bestand auch aus dem Gebiet des heutigen Jordaniens. Dieses riesige Gebiet mit dem vormaligen Namen Transjordanien war ausschließlich für einen arabischen Staat gedacht, in dem keine jüdischen Siedlungen erlaubt waren. Studiert man die Karte, wird deutlich, dass nur ein sehr kleiner Teil dieses historischen Palästina für einen jüdischen Staat bestimmt war. Es wird in der Darstellung des Nahostkonflikts dabei kaum erwähnt, dass die in Transjordanien lebenden Juden aus diesem Gebiet vertrieben wurden.

Nun, was bezwecke ich mit diesen kurzen Ausführungen?

Sie sollen deutlich machen, dass die Geschichte des Nahostkonflikts sehr komplex ist. Sie darf und kann daher nicht einseitig beurteilt werden, weder zugunsten der arabischen noch der jüdischen Seite. Fakten sollen berücksichtigt, ideologische Standpunkte außen vor gelassen werden. Israel einseitig und unreflektiert pauschal des „Landraubs“ zu bezichtigen, entspricht nicht der historischen Entwicklung dieses umstrittenen Gebietes.

Warum würde ich diese zwei Diskussionspartner als Antisemiten bezeichnen?

Nicht, weil sie die Siedlungspolitik Israels, den Einsatz auf der Mavi Marmara oder die Verhältnismäßigkeit der aktuellen Terrorbekämpfung in Israel kritisieren. Selbst Juden führen diese kritischen Auseinandersetzungen, wie hier.

Antisemitismus liegt meiner Ansicht nach aber vor, wenn von einer „jüdischen Weltverschwörung“ fantasiert wird, wenn Juden für die Probleme dieser Welt einseitig zur Verantwortung gezogen werden oder wenn Juden allein aufgrund ihrer Religion, unabhängig von ihrem jeweiligen situationsspezifischen Verhalten, pauschal angefeindet werden. Erst recht liegt Antisemitismus vor, wenn der Mord an Juden durch die vermeintlich „unmenschliche“ Politik Israels zu rechtfertigen versucht wird, wie bei der Diskussion geschehen. Ließe man eine Rechtfertigung im Sinne einer „Sippenhaft“ zu, könnte man die ganze Erde entvölkern.

Stellen die Meinungen dieser zwei muslimischen Bürger nur Einzelmeinungen dar oder deutet diese Diskussion auf eine antisemische Endemie speziell in dieser Bevölkerungsgruppe hin? Als zu Selbstkritik fähiger Mensch habe ich ebenfalls darüber nachgedacht, ob ich selbst im Hinblick auf Israel „idelogisch“ verblendet sein könnte. Nun, ich bin bei ehrlicher Betrachtung nicht völlig unparteiisch. Ich bemühe mich aber dennoch um Neutralität und würde eine Tatsache niemals verdrehen oder verfälschen. Warum stelle ich kaum israelkritische Beiträge in meinen Blog? Ich denke, dass es genug Blogger gibt, die diese Arbeit gern erledigen.

Nun, an jenem Tag hatten wir die Diskussion rechtzeitig unterbrochen, bevor sie ausarten konnte oder wir irgendwie versucht wären, uns zu prügeln. Eine vorweihnachtliche Prügelei wäre der besinnlichen Stimmung der Feier sicherlich sehr abträglich gewesen. Und für mich das erste Mal überhaupt. Na, dann Peace, Leute.

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